Das malerische Werk von Anelys Wolf zeigt häufig Menschen in Alltagssituationen. Im Allgemeinen geht sie dabei von Fotografien aus, deren Bildausschnitte sich in ihren Gemälden wiederfinden. Während sie sich in früheren Arbeiten der Fotos aus ihrem Familienumfeld bediente, sind ihre Sujets in der hier gezeigten Serie “Relaciones Secretas” (geheime Beziehungen) Einzelbilder aus Filmen chilenischer Cineasten unterschiedlicher Generationen – Cristián Sánchez, José Luis Torres Leiva und Elisa Eliash. Die Auswahl dieser Einzelbilder als Ausgangspunkt ihrer Malerei zeigt Anelys Wolfs Neigung zum Erzählerischen, ein Thema, das ihr gesamtes Oeuvre durchzieht. Die Aneignung der Filmbilder macht meiner Ansicht nach eine Notwendigkeit sichtbar, Situationen zu finden, an denen Personen beteiligt sind; anonyme und belanglose Geschichten, denen eine gewisse Mehrdeutigkeit und Spannung gemeinsam ist und die als eingefrorene Szenen leichter in die Sprache der Malerei zu übersetzen sind. In gewisser Weise spiegelt diese Themenwahl jenen Voyeurismus, jene Enteignung von Augenblicken und Situationen, die erst durch das Kino ermöglicht wird, und in unserem Alltagsleben schwer auszumachen ist. Dennoch liegt das Interesse der Künstlerin keineswegs in der detaillierten Wiedergabe dieser Szenen, sondern darin, eine Atmosphäre zu vermitteln, die ihnen allen gemeinsam ist. Ein paradoxer Zug in Anelys Wolfs Bildern ist, dass das narrative Interesse, das ihre Themenwahl zeigt -das Anliegen, uns mit Szenen zu konfrontieren, wo eine Handlung stattfindet und die somit einen zeitlichen Aspekt enthalten-, von der Malerei negiert wird. Wenn wir also ihre gegenständliche Kunst betrachten, wird unsere auf eine Erzählung gerichtete Erwartungshaltung enttäuscht und erobert die Malerei als Sprache die Hauptrolle. Es sind Bilder, die den Blick zum Innehalten zwingen, und mehr als auf das Erzählte auf ihren Schaffensprozess richten.
Häufig tritt eine Malerei, die narrative Szenen mit menschlichen Figuren darstellt, in Konflikt mit Motiv oder Thema. Es ist nicht leicht, in einem Bild, das gut erkennbare Szenen beschreibt, ein Gleichgewicht zu halten, ohne dass das von uns Erkannte das Bild beherrscht und dieses am Ende zur reinen Illustration einer bestimmten Situation wird. Im Fall der Arbeiten der Serie “Relaciones Secretas” wird, abseits aller daraus ableitbaren Spekulationen, die Stimmung von einem gewissermassen existenziellen Geist geprägt. Die Bilder fokussieren die Aufmerksamkeit auf das Rätselhafte dieser alltäglichen und unergiebigen Szenen, wo die Zeit stehen geblieben ist, was das vermeintlich Bekannte verfremdet. Die Unvollständigkeit und Skizzenhaftigkeit vieler dieser Werke erhöhen ihre Ausdruckskraft. Die Malerei scheint, rasch hingeworfen, in präzisen Pinselstrichen das Wesentliche jeder dargestellten Situation zu erfassen; die darin zu beobachtende Verformung der Figuren lässt diese echter erscheinen, als sie in Wahrheit sind. Das Wesentliche dieser Bilder liegt nicht im Lesbaren oder in der Ähnlichkeit, sondern im Sichtbarmachen einer bestimmten Spannung und Atmosphäre. Die Synthese ist für diese Kunst kennzeichnend und verweist auf die Suche nach einer reinen Malerei, die aus sich selbst besteht und ihre gegenständliche Referenz verwandelt.
Die Künstlerin verdeutlicht ihr Anliegen in folgender Aussage: “Mich interessiert das Werk von Hugo Cárdenas, Bezerra, Couve – Menschen, die vom Alltäglichen ausgingen, um mit geringem Aufwand, ohne jedes Pathos und ohne Kunstgriffe ihre Seele in der Malerei auszudrücken, und unter Verzicht auf andere Themen das Dunkle und Glanzlose, die verborgenen Mysterien zu erforschen, ganz und gar der Leuchtkraft ihrer Farbflecken vertrauend.
Ich wollte immer ihnen ähnlich sein, sie sind mein urbaner Stamm.” Die Verwandtschaft ihrer Malerei mit dem Werk (und der Lehre) des Malers Adolfo Couve ist augenscheinlich: eine Malerei, die das Alltägliche, das jeden Tag zu sehende Unscheinbare untersucht und mit minimalem Narrativ und Ökonomie der Mittel direkt die Betrachtungserfahrung des Sehers anspricht.
Das kleine Format der von Anelys Wolf präsentierten Arbeiten, ihre Anordnung als Serie und der ihnen gegebene Übertitel bewirken, dass der Betrachter zu spekulieren beginnt, welche Verbindungen, oder “geheimen Beziehungen” zwischen ihnen bestehen. Bei der Herstellung dieser Bilderserie übersetzt Anelys Wolf die filmische in die malerische Darstellung. Dennoch gibt es hier keine Geschichte zu erzählen; im Vordergrund steht das Bruchstück, sowohl was die Beziehung zwischen den einzelnen Bildern der Serie, als auch was jede gemalte Szene für sich betrifft. Die Historie wird zugleich ab- und aufgebrochen. Das Anekdotische jeder der Szenen wird von der Malerei selbst konterkariert; wegen ihrer Unfertigkeit, wegen der Verwendung des weißen Untergrunds als Teil der Komposition, wegen des Pinselstrichs, der Flächigkeit. Trotz der Aktion, die jede gemalte Szene zeigt, herrscht darin eine Stummheit vor, die uns auf die rein bildnerischen Mittel verweist. So ist am Ende die geheime Verbindung zwischen diesen Werken die sie durchziehende Stimmung der Trostlosigkeit.
Malena Cárdenas Ortega
Lic. der bildenden Kunst und Magístra (cand.) der bildenden Kunst an der Universität von Chile
Aus dem Spanischen übersetzt von Wolfgang Ratz